Eat, Pray, Listen
Wenn Aphex Twin mit Julia Roberts kollidiert
Ehrlich, ich hätte mir den Schmalzstreifen „Eat, Pray, Love“ mit Julia Roberts in der Hauptrolle niemals reingezogen – wenn ich Single wäre. Doch aus Liebe zu meiner Freundin war es vor einigen Tagen soweit: Ich sah ihn also, diesen Film, der vermutlich ohne dieser millionenschweren Werbekampagne nie ins öffentliche Bewusstsein gedrungen wäre. Doch angesichts qualvoller, pseudo-spirituell angehauchter TV-Werbeund Radiospots schleiften die Frauen dieser Welt ihre Männer, Freunde, Lover, Affären etc. ins Kino, um diesem „tiefsinnigen Blockbuster“ und seinen Machern den erwarteten materiellen und weniger spirituellen Geldregen zu geben.
Nun, aus cineastischer Sicht gibt es von mir als Hobby-Filmexperten nur ein Fazit: Die Kinowelt könnte auch ganz gut ohne „Eat, Pray, Love“ leben. Doch aus musikalischer Sicht gab es doch ein interessantes Detail zu beobachten. Mitten in einer romantisierten Szene, in der Julias zweiter flachgelegter Lover des Machwerks so was wie einen Theaterschauspieler schauspielert (äh, ja!;-), erklangen sie: Diese eigenartigen, einzigartigen, unverwechselbaren Harmonien und Flächen. Layer aus einer anderen Welt, wundervolle Synthie-Klangflächen, die nicht nur die Filmszene untermalten, sondern auch mein Gehirn rattern ließen: „DAS kennst Du doch? Ist es, nein … oder?! Doch, es ist Aphex Twin! Vermutlich eins seiner Selected-Ambient-Werke“, zog ich mein eigenes Fazit. Ich harrte geduldig aus, wartete auf den Abspann – und stoppte das Movie dann zielgenau. Bei den Musikcredits stand es: „Aphex Twin – ‘Parallel Stripes‘ – Composed by Richard James“. Ich wusste es also.
Hinter dem Pseudonym Aphex Twin steckt der britische Komponist Richard D. James. Ein Musikgenie unserer Zeit, der bereits im Alter von 12 Jahren eigenhändig Keyboards baute, sie zerlegte, wieder zusammenschraubte. Nur, um die festgelegten Töne zu verändern. Dieser kranke Typ, der bereits mit Kochtöpfen und Metallstangen musizierte. AFX – eines meiner Jugendidole. Während andere die Onkelz, die Fantas oder Metallica aufgrund ihrer Texte verehrten, lief ich morgens in die Schule mit dem „Drukqs-Album“ und gefühlten 350 bpm im Ohr. Aphex Twin offenbarte sich mir im Alter von 16 wie in einer kirchlichen Predigt mit Gospel-Gesang: Er zeigte mir, welche Anforderung mein tiefstes Inneres wirklich an Musik stellt: Es geht NUR um DEN TON. Akustik und Sound sind ALLES, was ich zum Abgehen brauch, ich fand meine musikalische Heimat nach jahrelanger Suche. Aphex kann Töne digital zermahlen, aufdröseln, dann wieder ineinander verketten, verschmelzen lassen. Dank ihm weiß ich heute, dass ich aus einem einzigen platschenden Regentropfenton alle Elemente für einen Electro-Track machen kann: Kick, Snare, Hihat, Toms und Bongos. Im Laufe der Jahre lernte ich persönlich
viele weitere Aphex-Fans und Enthusiasten kennen. Heute weiß ich, dass es weltweit vermutlich Millionen von AFX-Jüngern gibt.
„Ok, alles super. Doch was hat dieser Ton-Crasher mit den wunderbar harmonischen Flächen einer Julia-Roberts-Schnulze zu tun?“, hör ich den Leser jetzt fragen. Gute Frage, cleverer Sonny-Boy! Ich erklär es dir:
Da Aphex halt nun mal ist, wie er ist, kann er ALLES. Und ich kenn halt fast alles von ihm. Sein Repertoire reicht von stampfendem 4-4-Techno über HipHop-Breaks hin zu Klaviersonaten und Ambient-Sachen. Und genau ein Track der Selected-Ambient-Reihe, die Richard bereits Ende der 80er veröffentlicht hat, wurde von den Machern von „Eat, Pray, Love“ auserwählt. Ich revidierte meine Meinung über die Filmproduzenten ein wenig. „Immerhin bewiesen sie Musikgeschmack“, teilte ich mir und meiner Freundin mit, die den kompletten Film übrigens nicht toll fand.
Als ich einem guten Freund, den Produzenten SDfromheaven aus Magdeburg von der Sache erzählte, meinte der nur cool: „Klar, Aphex macht doch auch Musik für Computerspiele und hat noch tausend andere Projekte am Laufen. Außerdem muss der aufgrund der Tantiemen nur so im Geld schwimmen.“ Genau, dachte ich mir. Ohne Glamour und Starkult reich wurde dieser AFX, der vor einigen Jahren Besucher des angesagten Ministry-Of-Sound-Clubs in London von seiner Wohnung aus mit Wasserbomben beschmiss. Gemeinsam mit Squarepusher, …glaub ich. ;-P
von A. Boos (DiSTrActeD B)
Auf zu den Quellen:
http://www.imdb.com/title/tt0879870/soundtrack
Original Soundtrack – Eat, Pray, Love auf www.imdb.com
http://www.laut.de/Aphex-Twin
Aphex Twin auf www.laut.de
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3 thoughts on “Kolumne No. 2 (dec2010)”